ATOMKRAFT - EIN TEURER IRRWEG

DIE MYTHEN DER ATOMWIRTSCHAFT


Sollte Deutschland wieder auf Atomkraft setzen? Steigende Strom- und Energiepreise, unsere ambitionierten Ziele im Klimaschutz, aber auch die Diskussion über eine sichere Energieversorgung und Deutschlands Abhängigkeit von Öl- und Erdgaslieferungen: Damit versucht die interessierte Industrie stets aufs Neue, die Debatte über die Atomenergie zu entfachen und ihre Mythen zu verbreiten. Aber trägt Atomkraft zum Klimaschutz bei? Bietet sie eine sichere Energieversorgung? Und sorgt Atomkraft für niedrige Energie- oder Strompreise? Das Bundesumweltministerium gibt Antworten

SCHÜTZT ATOMKRAFT DAS KLIMA?

Nein, Atomkraft schützt das Klima nicht. Atomkraftwerke stellen nur Strom bereit und können den Kohlendioxid-Ausstoß von Verkehr und Heizung nicht mindern. Da Atomkraftwerke nur Strom produzieren, aber keine nutzbare Wärme, sind zusätzlich zu den Atomkraftwerken noch Wärmekraftwerke oder Heizungen nötig - mit entsprechendem Ausstoß des Treibhausgases Kohlendioxid. Moderne Anlagen mit Kraft-Wärme-Kopplung (KWK), in denen Strom und Wärme gleichzeitig produziert wird, sind zum Teil klimafreundlicher als Atomkraftwerke kombiniert mit Heizungen. Besser noch liegen in der Klimabilanz erneuerbare Energien und vor allem eine insgesamt effizientere Nutzung der Energieressourcen.

Atomkraft ist auch nicht notwendig, um unsere Ziele im Klimaschutz zu erreichen: Schon heute haben wir 15 Prozent Strom aus erneuerbaren Energien, 2020 werden es mehr als 30 Prozent sein. Damit erreichen wir unser Ziel, den Ausstoß von Treibhausgasen gegenüber 1990 um 40 Prozent zu senken - obwohl bis dahin fast alle Atomkraftwerke ausgeschaltet sind.

 

 TRÄGT ATOMENERGIE WELTWEIT ZUM KLIMASCHUTZ BEI?

Auch weltweit bietet der Ausbau der Atomenergie keine Perspektive zum Schutz des Klimas: Der Anteil der Atomenergie am weltweiten Endenergieverbrauch liegt bei etwa zwei Prozent - und geht weiter zurück. Letztlich ist zusätzliche Atomenergie, um wirksamere Klimaschutzmaßnahmen zu ersetzen, schon wegen der Kosten illusorisch: Wenn sie einen nennenswerten Beitrag zum Klimaschutz leisten sollte, müssten laut der Internationalen Energieagentur weltweit 1400 neue Atomkraftwerke gebaut werden - gleichermaßen in politisch stabilen und wenig stabilen Staaten. Das wäre wegen der Gefahr der Weiterverbreitung waffenfähiger Kernbrennstoffe nicht zu verantworten.

 

 IST ATOMKRAFT "ÖKO-ENERGIE"?

Nein. Das stimmt schon deshalb nicht, weil Atomenergie große Mengen gefährlicher Abfälle hinterlässt, für deren sichere Endlagerung es bisher praktisch nirgendwo auf der Welt eine Lösung gibt. Atomkraft ist aber auch keine kohlendioxidfreie (CO2-freie) Technik. Denn für die Klimabilanz eines Energieträgers muss der gesamte Produktweg einbezogen werden - von der Rohstoffgewinnung über den Transport, die Verarbeitung bis hin zur Nutzung und dem Kraftwerksbau. Kohlendioxid entsteht zwar nicht beim Betrieb von Atomkraftwerken, jedoch beim Uranabbau, bei der Anreicherung von Uran und bei der Wiederaufarbeitung oder Endlagerung. Eine Studie des Öko-Instituts in Freiburg zeigt: Ein deutsches Atomkraftwerk produziert je nach Herkunftsort des Urans zwischen 31 und 61 Gramm CO2 pro Kilowattstunde Strom. Demgegenüber stehen erneuerbare Energien wie die Windkraft mit 23 Gramm CO2 pro Kilowattstunde oder die Wasserkraft mit 39 Gramm CO2 pro Kilowattstunde deutlich besser da.

 

 IST ATOMKRAFT SICHER?

Die prinzipiellen Risiken der Atomenergie sind nicht beherrschbar. Auch nicht in Deutschland. Atomenergie war die Zukunftsenergie der fünfziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Sie sollte universell verfügbar sein und so billig, dass der Stromzähler abgeschraubt wird. Ein halbes Jahrhundert und einige Atomkatastrophen später sind diese Träume zerplatzt. Deutschlands Atomkraftwerke gehören zwar zu den sichersten der Welt, dennoch besteht nach wie vor das Risiko eines atomaren Großunfalls (Super-GAU).

Wie nah wir zum Teil vor einer Atomkatastrophe stehen, ist in den letzten Jahren immer wieder durch Störfälle rund um den Globus deutlich geworden:

  • In der Sicherheitszone des Atomkraftwerks Brunsbüttel kam es 2001 zu einer Wasserstoffexplosion - Expertenangaben zufolge hätte dieser Störfall bei nur etwas anderem Verlauf bis zur Kernschmelze mit radioaktiver Verstrahlung führen können.
  • Im März 2002 entdeckten Experten bei der Überprüfung des Atomreaktors "Davis Besse" in den USA eher zufällig, dass der Stutzen des Reaktordeckels bereits zu drei Vierteln durchgerostet war - ohne dass es zuvor jemand gemerkt hatte.
  • Im Jahr 2003 kam es im Atomkraftwerk "PAKS" in Ungarn beinahe zu einer Kernschmelze mit der Folge massiver radioaktiver Verstrahlung der Umwelt, als Brennstäbe nach einem Teilausfall der Kühlung zerstört wurden.
  • 2006 fiel die Stromversorgung im schwedischen Atomreaktor Forsmark aus. Hätte nur ein weiterer Notstromdiesel nicht funktioniert, wären die Folgen unabsehbar gewesen.
  • Im Jahr 2007 verbog ein Erdbeben in Japan die Rohrleitungen von gleich fünf Reaktoren und führte zu einem Brand, der erst nach mehr als zwölf Stunden gelöscht werden konnte.

Vor dem Hintergrund der Pannenserie in mehreren französischen Atomanlagen im Jahr 2008 sind wir froh, dass die Diskussion über die Gefahren der Atomtechnologie in Deutschland so intensiv geführt wird und dass der Betrieb von Atomkraftwerken und die Aufsicht darüber in unterschiedlichen Händen liegen. In Frankreich wurde der Atomaufsicht erst kürzlich eine größere Unabhängigkeit gegeben. Das ist gut so, weil der Atomkraftwerk- Betreiber EDF und der Nuklear-Konzern Areva mehrheitlich dem Staat gehören.

Auch die Störfalle und Pannenserien in den deutschen Atomkraftwerken Brunsbüttel und Krümmel zeigen: Atomkraft ist so komplex, dass derartige Vorfälle zu den systembedingten Risiken dieser Technik gehören. Zudem sind die ältesten Atomkraftwerke in Deutschland nicht gegen Flugzeugabstürze, geschweige denn terroristische Anschläge ausgelegt. Dieses Risiko ist gerade angesichts der erschütternden Ereignisse vom 11. September 2001 nicht mehr zu leugnen und keinesfalls zu akzeptieren.

Entsprechend groß ist weiterhin die Skepsis gegenüber der Atomenergie: Laut einer repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa vom April 2009 wollen zwei Drittel der Deutschen den Atomausstieg beibehalten oder sogar beschleunigen. Und lediglich vier Prozent glauben, dass Atomkraftwerke heute sicher seien und keine Unfallgefahr mehr besteht.

In Deutschland sorgen der Atomkonsens und das Atomgesetz grundsätzlich dafür, dass das zuletzt in Betrieb genommene Atomkraftwerk mit höheren Sicherheitsstandards auch zuletzt abgeschaltet wird: Neckarwestheim 2 um das Jahr 2022.

 

 SIND ATOMKRAFTWERKE EINE GEFAHR FÜR DEN WELTWEITEN FRIEDEN?

Mit der Zahl von Ländern, die Atomkraftwerke betreiben, wächst das Risiko, dass waffenfähiges Plutonium oder Uran in falsche Hände gerät. Die Konflikte mit Nordkorea und dem Iran zeigen, wie sehr diese Risiken in den letzten Jahren gestiegen sind.

Sicherheit von Atomkraftwerken gibt es nur mit einer staatlichen Aufsicht, die dauerhaft funktioniert. In zahlreichen politisch instabilen Schwellen- und Entwicklungsländern ist dies nicht oder nur bedingt gegeben: Sicherheitsstandards könnten vernachlässigt werden, waffenfähiges Nuklearmaterial in die Hände von Terroristen gelangen. Dagegen blicken viele Entwicklungsländer auf Deutschland, um zu sehen, wie eine erfolgreiche wirtschaftliche Entwicklung und ein wirksamer Klimaschutz auch ohne Atomenergie erreicht werden kann.

 

 WOHIN MIT DEM RADIOAKTIVEN MÜLL?

Es gibt weltweit kein genehmigtes Endlager für hochradioaktive Abfälle aus Atomkraftwerken. Auch in Deutschland ist noch keine Lösung in Sicht - obwohl der Atommüll hochgefährlich ist und mindestens eine Million Jahre sicher von der Umwelt abgeschirmt werden muss. Bis heute wird der Atommüll lediglich zwischengelagert. Ob der Salzstock Gorleben als Endlager geeignet ist, wurde bisher nicht nachgewiesen. Ohne einen Vergleich mit Alternativen kann auch nicht beurteilt werden, ob Gorleben der bestgeeignete Standort ist. Deshalb sollte der am besten geeignete Standort zur Endlagerung hochradioaktiver Abfälle gesucht werden. Wer sich für die Atomenergie ausspricht, aber eine unvoreingenommene Standortsuche ablehnt, ist unglaubwürdig.

Wie kompliziert es ist, Atommüll sicher zu lagern, hat sich im Salzbergwerk Asse bei Wolfenbüttel gezeigt. Asse sollte das Pilotprojekt für eine sichere Endlagerung sein, nun dringen dort täglich rund 12.000 Liter Wasser von allen Seiten ein und lockern das poröse Salz weiter auf. Asse ist der unbestreitbare Beweis, dass Atomenergie keinesfalls eine Form von "Ökoenergie" ist. Atomstrom erscheint nur sauber, weil der Schmutz und mit ihm die Gefahren im Boden vergraben werden - zu Lasten unserer Kinder und Enkelkinder.

 

 WARUM WURDE DIE LAUFZEIT DER DEUTSCHEN ATOMKRAFTWERKE BEGRENZT?

Vor der Novelle des Atomgesetzes verfügten die Atomkraftwerke in Deutschland - anders als in anderen Ländern - über eine unbefristete Betriebserlaubnis. Im Jahr 2000 führte eine Neubewertung der Risiken von Atomkraftwerken zu der Entscheidung, die Laufzeit der deutschen Atomkraftwerke auf durchschnittlich 32 Jahre zu befristen. Entscheidend waren dabei das Unfallrisiko und die ungeklärte Entsorgung der Atomabfälle. Der Bundestag entschied 2002 mit der Änderung des Atomgesetzes, dass diese Risiken nur noch für eine begrenzte Dauer verantwortbar sind.

Nach der Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und den Energiekonzernen im Jahr 2000 und dem geänderten Atomgesetz sollen die ältesten und damit grundsätzlich weniger sicheren Reaktoren zuerst abgeschaltet werden: Biblis A und B, Neckarwestheim 1 und Brunsbüttel. Dann folgen Isar 1, Unterweser und Philippsburg 1. Stade und Obrigheim haben ihren Betrieb bereits endgültig eingestellt.

Eine generelle Laufzeitverlängerung ist aufgrund des Risikos für die Bevölkerung nach dem Atomgesetz nicht vorgesehen. Die ältesten Atommeiler waren vielleicht mal modern, als sie in den Siebzigern ans Netz gingen. Heute wären diese Atommeiler, wollte man sie neu in Betrieb nehmen, gar nicht mehr genehmigungsfähig.

 

 KANN DIE LAUFZEIT DER ÄLTESTEN ATOMKRAFTWERKE VERLÄNGERT WERDEN?

Rein rechtlich betrachtet ist das laut Atomgesetz nur in besonderen Ausnahmefällen und mit Zustimmung des Bundesumweltministeriums möglich. Gerade weil bei alten Reaktoren grundsätzlich das Risiko eines Unfalls größer ist, hat das Atomgesetz als Regelfall festgelegt: Die ältesten Reaktoren sollen zuerst vom Netz, die jüngsten und modernsten zuletzt. Das Gesetz stellt es den Betreibern frei, ihre ältesten Atommeiler auch schneller als vorgesehen stillzulegen, indem sie die restliche Laufzeit eines älteren auf ein neueres Kraftwerk übertragen. Die Laufzeiten von Atomkraftwerken können also schon heute verlängert werden, wenn dafür im Gegenzug die älteren Kraftwerke schneller stillgelegt werden. Das macht den Atomausstieg für die Energieversorger flexibel und wirtschaftlich sehr gut berechenbar.

 

 WAS WÜRDE EINE LAUFZEITVERLÄNGERUNG FÜR DIE MENGE DES ATOMMÜLLS BEDEUTEN?

Eine generelle Laufzeitverlängerung brächte klimapolitisch und für den Geldbeutel der Bürgerinnen und Bürger nichts. Sie würde allerdings zu mehr Atommüll führen und damit das Problem der ungelösten Endlagerung erheblich verschärfen: Schon jetzt gibt es in Deutschland 6000 Tonnen hoch gefährliche Atomabfälle in Form von bestrahlten Brennelementen. Bis zur Abschaltung des letzten Atomkraftwerkes im Jahr 2022 werden noch circa 4800 Tonnen anfallen. Bei einer Laufzeitverlängerung kämen mit jedem Betriebsjahr 450 Tonnen hinzu. Eine Verlängerung der Laufzeiten um zehn Jahre hieße: Gegenüber der Abschaltung des letzten Atomkraftwerks im Jahr 2022 würden anstatt 10.800 Tonnen dann 15.300 Tonnen Atommüll in Form von abgebrannten Brennelementen anfallen - fast 50 Prozent mehr Atommüll.

 

 HILFT EINE LAUFZEITVERLÄNGERUNG BEIM UMSTIEG AUF ERNEUERBARE ENERGIEN?

Nein! Die Zeit zum Umstieg auf erneuerbare Energien wurde bereits in den Zeitraum für den Atomausstieg einkalkuliert. Außerdem exportiert Deutschland schon heute mehr Strom ins Ausland, als es einführt. Selbst als im Jahr 2007 sieben der 17 Reaktoren in Deutschland stillstanden, haben wir noch Strom ausgeführt. Unsere Versorgungssicherheit ist also mehr als gewährleistet.

Die erneuerbaren Energien sorgen dafür, dass keine Versorgungslücke entsteht: Wenn der letzte Atomreaktor wie vorgesehen um 2022 vom Netz geht, können nach aktuellen Untersuchungen für das Bundesumweltministerium pro Jahr bereits rund 180 Terawattstunden (Milliarden Kilowattstunden) Strom aus erneuerbaren Energien erzeugt werden. Das liegt sehr deutlich über den fast 150 Terawattstunden, die deutsche Atomkraftwerke heute noch pro Jahr produzieren. Zudem wird seit dem Beschluss zum Ausstieg aus der Atomenergie jedes Jahr mehr Strom aus neuen Anlagen der erneuerbaren Energien produziert, als durch abgeschaltete Atomkraftwerke wegfällt.

Das gilt auch für die nähere Zukunft und die dann abzuschaltenden Atommeiler: Die Stromproduktion aus den Erneuerbaren wird sich zwischen 2002 und 2010 mehr als verdoppeln - von gut 45 Milliarden Kilowattstunden auf mehr als 100 Milliarden Kilowattstunden. Das ersetzt bereits mehr als das Doppelte des Stroms aus den Atomkraftwerken, die bis 2010 gemäß Atomausstiegsvereinbarung abzuschalten sind.

Das Ziel der Bundesregierung, bis 2010 einen Anteil von Strom aus erneuerbaren Energien von mindestens 12,5 Prozent zu erreichen, wurde mit 14 Prozent schon im Jahr 2007 deutlich übertroffen. Dieser Anteil soll bis 2020 auf mindestens 30 Prozent steigen und danach stetig weiter erhöht werden. Das entspricht einem Anteil von rund 50 Prozent im Jahr 2030. Ein großer Teil dieses Stroms wird aus Wind- und Sonnenenergie kommen. Diese schwankend erzeugte Strommenge muss von einem flexiblen System ausgeglichen werden.

Atomkraftwerke aber sind das Gegenteil: unflexibel und schwer regelbar. Daher können sie nicht sinnvoll in einer umstrukturierten Energiewirtschaft eingesetzt werden, die zukünftig auf erneuerbaren Energien mit hohen Anteilen von dezentralen Kraft-Wärme- Kopplungsanlagen gründet. Bereits in den nächsten Jahren muss im Energiesystem Platz gemacht werden für flexiblere Kraftwerke.

 

 KÖNNTEN NICHT DIE ENERGIEKONZERNE IHRE PROFITE DURCH VERLÄNGERTE LAUFZEITEN IN ERNEUERBARE ENERGIEN INVESTIEREN?

Viele Befürworter einer Laufzeitverlängerung argumentieren, mit den Erlösen aus verlängerten Laufzeiten könne man die Forschung für erneuerbare Energien fördern, Strompreise senken und so weiter. Aber: Niemand von denen, die das propagieren, kann erklären, wie und in welchem Umfang die Energieversorgungsunternehmen zu solchen Wohltaten verpflichtet werden sollen oder können. Und ob Aktiengesellschaften zu Lasten ihrer Eigentümer auf mögliche Gewinne verzichten, ist mehr als zweifelhaft.

 

 SINKEN DIE BENZIN- UND HEIZPREISE DURCH ATOMKRAFT?

Steigende Öl-, Benzin- oder Gaspreise haben nichts mit Atomstrom zu tun: Autos werden nicht mit Atomkraft betrieben und Wohnungen nicht mit Uran beheizt. Atomkraftwerke ersetzen deshalb weder Gas noch Öl - und können auch die Öl- oder Gaspreise nicht dämpfen. Öl wird in Deutschland praktisch gar nicht und Gas nur zu etwa zehn Prozent zur Stromerzeugung verwendet.

 

 SINKT DER STROMPREIS DURCH EINE LAUFZEITVERLÄNGERUNG?

Nein, sonst müssten die Strompreise derzeit sinken, denn die Atomkraftwerke laufen ja. Stattdessen haben wir - mit Atomstrom - seit Jahren weit stärkere Strompreiserhöhungen als in anderen Teilen Europas. Der Strompreis wird an der Leipziger Strombörse gebildet und hängt vom jeweils teuersten Anbieter ab. Das sind praktisch nie die vollständig abgeschriebenen Atomkraftwerke. Die Erfahrung zeigt, dass Strompreise laufend ohne erkennbaren Anlass angehoben werden. Die vier großen Energieunternehmen setzen hohe Strompreise aufgrund ihrer Marktdominanz durch.

Billiger Strom aus abgeschriebenen Atommeilern wirkt sich also gar nicht auf den Strompreis aus, sondern bringt den Energieunternehmen zusätzlichen Profit. Bei 17 Atomkraftwerken in Deutschland würde jedes Jahr verlängerte Restlaufzeit mehr als fünf Milliarden Euro Zusatzgewinne in die Kassen der Energiekonzerne spülen. 61 Milliarden Euro zusätzliche Gewinne winken den Energieversorgern bei einer Verlängerung der Laufzeiten auf 40 Jahre. Das würde ihre marktbeherrschende Stellung zementieren - bei weiter steigenden Strompreisen.

 

 WELCHE AUSWIRKUNGEN HÄTTEN LÄNGERE LAUFZEITEN AUF DEN ENERGIEMARKT?

Längere Laufzeiten von Atomkraftwerken verhindern die dringend notwendigen Investitionen in effiziente Kraftwerke mit Kraft-Wärme- Kopplung und in erneuerbare Energien. Zudem stehen Atomkraftwerke einer nachhaltigen Energieversorgung direkt entgegen, weil sie unflexibel und schwer regelbar sind. Der alte Kraftwerksbestand würde konserviert, die marktbeherrschende Stellung der vier großen Stromkonzerne verfestigt, eine nachhaltige zukunftsfähige Energieversorgung zumindest verzögert.

Wie sehr den Befürwortern der Atomkraft daran gelegen ist, zeigt schon eine Anzeige aus dem Jahr 1993: "Sonne, Wasser und Wind können auch langfristig nicht mehr als vier Prozent unseres Strombedarfs decken." Weit gefehlt, die Erneuerbaren stellen heute bereits 15 Prozent unseres Stroms bereit.

Mit längeren Laufzeiten stünden obendrein Zehntausende Arbeitsplätze auf dem Spiel, die durch erneuerbare Energien, mehr Energieeffizienz und insgesamt einen effektiven Klimaschutz entstehen. Die Folge: Bei weltweit erhöhtem Bedarf und zunehmender Verknappung der Energierohstoffe klettern die Energiepreise langfristig deutlich nach oben, wenn Deutschland nicht weniger abhängig von fossilen Brennstoffen wie Öl, Gas oder Uran wird.

 

 GIBT ES EINE RENAISSANCE DER ATOMENERGIE?

Nein. Die Rede von der neuen Atomenergie-Konjunktur ist reines Wunschdenken der Lobbyisten. Denn trotz einiger Neubauten von Atomkraftwerken: Es gehen deutlich mehr Meiler altersbedingt vom Netz. Und viele der Neubauten werden seit Jahrzehnten angekündigt, aber nie verwirklicht - weil sich das ohne enorme staatliche Zuschüsse nicht rechnet.

Von 1989 bis 2007 stieg die Zahl der Reaktoren weltweit lediglich von 423 auf 439 - nicht einmal ein Reaktor pro Jahr. Ende 2008 wurden zudem sechs Meiler weniger betrieben als noch vor fünf Jahren: 438 statt 444. Inzwischen sind es nur noch 436. Selbst in den USA scheut die Energiewirtschaft die Risiken und Kosten der Atomenergie: Seit mehr als dreißig Jahren - seit dem Beinahe-GAU im US-amerikanischen Atommeiler "Three Mile Island" bei Harrisburg - wurde dort kein neues Atomkraftwerk mehr bestellt. Und wenn die Unternehmen dann doch Neubauten anzuschieben versuchen, fordern sie zuerst vom Staat dreistellige Milliarden-Dollar- Beträge, um die finanziellen Risiken zu verringern.

In der Europäischen Union (EU) betreiben derzeit 15 von 27 Staaten Atomkraftwerke. Irland plante in den siebziger Jahren vier Reaktoren, ließ die Pläne aber nach Protesten von Atomkraftgegnern fallen. Die restlichen elf Staaten - darunter auch Griechenland und Dänemark - sind niemals in die Atomkraft eingestiegen. Und nicht nur Deutschland, auch Belgien und Spanien halten am Atomausstieg fest. In Österreich wurde in den Siebzigern das Atomkraftwerk Zwentendorf errichtet, es ging jedoch niemals in Betrieb. Wo in der EU aber tatsächlich ein Atomkraftwerk neu gebaut wird, wie in Finnland, laufen Finanzierung und Baufortschritt schnell aus dem Ruder: Der Meiler wird frühestens 2012 - also volle drei Jahre später als geplant - in Betrieb gehen. Und er wird mindestens 1,5 Milliarden Euro teurer werden als vorgesehen - 50 Prozent mehr als geplant.

 

 MACHT ATOMENERGIE UNABHÄNGIG VON ENERGIEIMPORTEN?

Deutschland ist bei der Atomenergie zu 100 Prozent abhängig von Uranimporten. Nach aktuellen Angaben der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) und der Organisation für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (OECD) reichen die weltweit wirtschaftlich abbaubaren Vorkommen von Uran beim gegenwärtigen Jahresverbrauch noch etwa 100 Jahre. Danach müsste zu teureren Abbau- oder Gewinnungsverfahren übergegangen werden.

Wegen der Endlichkeit von günstig abbaubarem Uran wurde einst der Reaktortyp des Schnellen Brüters entwickelt - verbunden mit der Hoffnung, die Uranreserven vervielfachen zu können. Mit dem Schnellen Brüter wird zusätzlich hochgiftiges Plutonium erzeugt - das ist auch deshalb gefährlich, weil Plutonium für Atombomben verwendet werden kann. Brütertechnologie und Plutoniumwirtschaft gerieten weltweit zu einem sicherheitstechnischen Risiko erster Güte und zu einem wirtschaftlichen Fiasko. Der deutsche Prototyp, der Schnelle Brüter in Kalkar, kostete rund fünf Milliarden Euro und ging nie in Betrieb. Bezahlen mussten das die Verbraucherinnen und Verbraucher.

Aber auch sicherheitspolitisch ist die Rückkehr zur Plutoniumwirtschaft - zumal vor dem Hintergrund der gewachsenen terroristischen Bedrohung - keinesfalls vertretbar. In einer fortschrittlichen Energiewirtschaft ist es vielmehr notwendig, weniger abhängig von Importen zu sein. Bei Erdgas und Öl bedeutet das: Wärme muss effizienter erzeugt, sparsamer eingesetzt und stärker auf zukunftsfähige Energie gestützt werden, vor allem auf die erneuerbaren Energien Sonne, Biomasse oder Erdwärme. Wichtig ist zudem, die verbleibenden Importe abzusichern: durch langfristige Verträge und eine möglichst breite Streuung auf verschiedene Länder und Importeure.

 

 IST ATOMKRAFT WIRTSCHAFTLICH?

Strom aus neu gebauten Atomkraftwerken ist teuer und unrentabel - das lohnt sich nur noch, wenn sehr hohe staatliche Subventionen fließen. Intensiv bemüht sich zum Beispiel die Atomlobby in den USA um solche Subventionen - ohne Subventionen kein Neubau. Pro Kilowattstunde kostet Strom aus neuen Atomkraftwerken in der Herstellung etwa doppelt so viel wie bei einem Kohle- oder Gaskraftwerk.

Für die Elektrizitätswirtschaft sind Atomkraftwerke wegen der hohen Investitionskosten - auch für Sicherheit und Endlagerung der radioaktiven Abfälle - ein großes wirtschaftliches Risiko. Das zeigt auch der Neubau des Atomkraftwerks im finnischen Olkiluoto: Die Baukosten liegen inzwischen mit 4,7 Milliarden Euro mehr als 50 Prozent höher als geplant. Atomkraft gilt heute nur deshalb als billig, weil Forschung und Entwicklung oder ausreichende Versicherungen nie vollständig mitberechnet wurden. Wie teuer Atomkraft die Bürgerinnen und Bürger zu stehen kommt, zeigt auch die Lagerung von Atommüll: Bis Ende 2007 wurden allein für das Forschungsbergwerk Asse 257 Millionen Euro vom Bund ausgegeben. Die zukünftigen Kosten dürften bei etwa zwei Milliarden Euro liegen.

Insgesamt bedeutet die Strategie der Laufzeitverlängerung älterer Atomkraftwerke weder in den USA, wo die genehmigte Laufzeit mehrerer Atomkraftwerke auf 60 Jahre erhöht wurde, noch anderswo den Start in eine neue Atomenergie-Konjunktur. Sie dokumentiert vielmehr den Versuch der Unternehmen, mit alten und technisch überholten Investments möglichst lange Geld zu verdienen - auf Kosten der Sicherheit. Dies trägt jedoch zur Verschleppung notwendiger Investitionen in moderne Kraftwerke bei und könnte sich - Stichwort Versorgungssicherheit - bitter rächen.

 

 SICHERN ATOMKRAFTWERKE ARBEITSPLÄTZE?

Atomkraftwerke haben im Vergleich mit der restlichen Energiebranche nur wenig Beschäftigte, die aber nach einer Stilllegung noch längere Zeit wegen des Rückbaus der Anlagen beschäftigt werden. Nach Betreiberangaben sind durch den Atomausstieg bis zu 38.000 Arbeitsplätze in der Atomindustrie betroffen - allerdings innerhalb einer sehr großen Zeitspanne. Investitionen in Energieeffizienz, erneuerbare Energien und insgesamt in den Klimaschutz dagegen lösen einen Schub für Arbeitsplätze mit Zukunft aus. Rund 280.000 Menschen arbeiteten im Jahr 2008 allein im Bereich der erneuerbaren Energien, Tendenz steigend. Deutschland ist in diesem Bereich weltweit führend, mit entsprechenden positiven Folgen für Wachstum und Beschäftigung: Die Windbranche zum Beispiel hat bei ihrer Wertschöpfung inzwischen einen Exportanteil von mehr als 80 Prozent.

 

 WIE KÖNNEN DIE ENERGIEKOSTEN STABILISIERT WERDEN?

Durch mehr Wettbewerb am Energiemarkt, mehr Energieeffizienz und mehr erneuerbare Energien. Effizienz - nicht Atomstrom - kann Kosten senken und stabilisieren. Zum einen durch hocheffiziente Kraftwerke, aber auch durch effiziente Nutzung von Energie bei Gebäuden, Fahrzeugen, in der Industrie. Mit mehr Energieeffizienz lassen sich die Energiekosten in Deutschland bis 2020 um mehr als 20 Milliarden Euro senken. Bleiben die Ölpreise so hoch oder steigen weiter, fällt der Gewinn noch deutlich höher aus.

Energie effizienter zu nutzen, mindert zudem unsere Abhängigkeit von Importen der weltweit immer knapperen fossilen Rohstoffe wie Öl oder Gas. Und es macht uns weniger abhängig von steigenden Weltmarktpreisen für Öl oder Gas - und damit fit für den globalen Wettbewerb.

 

 WIE SIEHT DER ENERGIEMIX DER ZUKUNFT AUS?

Energieeffizienz und erneuerbare Energien: Diese Doppelstrategie ist wesentlich für eine moderne und zukunftssichere Energieversorgung in einer industriellen Volkswirtschaft. Mit dem integrierten Energie- und Klimaprogramm (IEKP) setzt die Bundesregierung diese Strategie um. Zukünftig ist so in Deutschland eine Stromversorgung ohne Atomkraft möglich. Erneuerbare Energien produzieren nicht nur umweltfreundlichen Strom, sondern sie können mittelfristig auch einen erheblichen Teil des nationalen Wärme- und Kraftstoffbedarfs decken, also die Abhängigkeit von importierten fossilen Energieträgern wie Gas und Öl direkt mildern.

Ebenso wichtig ist die Effizienzstrategie der Bundesregierung. Energie soll in allen Bereichen intelligenter und sparsamer eingesetzt werden. 30 bis 40 Prozent des Energieverbrauchs der Industrie könnten zu wirtschaftlich vernünftigen Bedingungen schon heute eingespart werden. Das heißt: Die innovativen Leistungen der Ingenieure ersetzen Rohstoffimporte. Und das sichert und schafft Arbeitsplätze in Deutschland.

Das gilt auch für neue und effiziente Kohle- und Gaskraftwerke, eine weitere wichtige Säule im Energiemix der Zukunft. In den nächsten etwa 15 Jahren muss in Deutschland die Leistung von einem Drittel aller Kraftwerke erneuert werden: 40.000 Megawatt. Hier sind modernste Technologien gefragt - erneuerbare Energien, hocheffiziente Kohle- oder Gaskraftwerke und zukünftig möglicherweise auch kohlendioxidarme Kohlekraftwerke (so genannte CCS-Kraftwerke). Gas- und Dampfkraftwerke (GuD) blasen vergleichsweise wenig Kohlendioxid in die Atmosphäre, nutzen den Brennstoff Erdgas hocheffizient und passen aufgrund ihrer hohen Flexibilität hervorragend in ein Stromsystem mit einem hohen Anteil an erneuerbaren Energien.

Moderne Kohlekraftwerke mit Wirkungsgraden von über 45 Prozent sparen mehr als ein Drittel des Kohlendioxids (CO2) gegenüber alten Anlagen ein. Neue Kraftwerke sind auch besser regelbar und passen besser in einen flexiblen Energiemarkt. Zudem schaffen diese Innovationen Arbeitsplätze - auch weil deutsche Firmen bei Kraftwerkstechnologien führend auf dem Weltmarkt sind. Dieser Weg der Innovation - bei hocheffizienten Kohle- und Gaskraftwerken mit Kraft-Wärme-Kopplung und den erneuerbaren Energien - soll konsequent weitergegangen werden.

 

 FAZIT

Es gibt keinen Anlass, den mit der Stromwirtschaft vereinbarten Ausstieg aus der Atomenergie in Frage zu stellen: Es bleibt beim Atomausstieg. Er stellt geltendes Recht dar, an dem gemäß dem Koalitionsvertrag der Bundesregierung festgehalten wird. Und er bietet der Strombranche lange Zeit Planungssicherheit - davon können andere Branchen nur träumen.

Die Zukunft liegt nicht darin, eine teure Risikotechnik aus der Mitte des vergangenen Jahrhunderts wiederbeleben zu wollen. Sie liegt auch nicht darin, noch mehr hochradioaktiven Atommüll zu produzieren, der Millionen Jahre strahlt und für den wir immer noch kein sicheres Endlager haben. Und sie kann schließlich auch nicht darin bestehen, das Risiko der Weiterverbreitung waffenfähiger Nuklearstoffe weiter zu erhöhen und damit den Frieden auf der Welt zu gefährden.

Die Zukunft liegt vielmehr in einer nachhaltigen Energiewirtschaft, die insbesondere auf mehr Effizienz und mehr erneuerbaren Energien basiert. Das ist auch wichtig, um unabhängiger von Energieimporten zu werden und damit wettbewerbs- und zukunftsfähig zu bleiben. Atomkraft hingegen gibt keine Antwort auf die energie- und klimapolitischen Herausforderungen unserer Zeit.

 

 IMPRESSUM

Herausgeber: Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU),
Referat Öffentlichkeitsarbeit,
Alexanderstraße 3, 10178 Berlin
Redaktion: Uwe Büsgen, Silke Karcher, Jürgen Schulz, Bernd Warnat (BMU)
Stand: April 2009